Chimären körperlicher Bedrohung
Florian Pelka über die Arbeiten von Jan Thomas, Berlin 2006
Wenn wir den "Wildpark" von Jan Thomas betreten, glauben wir uns zuallererst vielleicht eher in einem Gartencenter - sollen hier etwa schnöde nebeneinander abgestellte Figuren für die heimische Rabatte ausgestellt sein, die mit klassischen Repliken dem kulturellen Anspruch des Gartenfreundes genügen? Der zweite Blick lässt alle Erwartungen an fürstlichen Dekor in heimeliger Vertrautheit zusammenbrechen. Wir selbst werden zur Figur, umgeben von absurden Auswüchsen körperlicher Bedrohung. Bis in Höhe der Magengrube fletschen hier janusköpfige Säbelzahntiger die Reißzähne, dort sind es gezückte Pistolen aus vermummten Figuren, die ihr Gegenüber stellen. Der Betrachter besetzt diese Leerstelle. Zunächst unübersichtlich, gehen diese Ensembles vielleicht doch im nächsten Moment, auf ein Zeichen aus dem Augenwinkel, in den Angriff über. Doch die Skulpturen bleiben stumm, die angespannte Atmosphäre unwägbar, merkwürdig schwebend, bedrohlich stumm.
Doch stimmt das eigentlich? Egal welche der Skulpturen: Immer haben sie auch den Ausdruck bemitleidenswerter Selbstverfangenheit. Im Crossover der Versatzstücke aus grauer Vorzeit und tagesaktueller Bedrohung durch politisch-religiöse Untergrundkämpfer bekommen diese Statuen sofort auch immer etwas unbeholfen Groteskes, etwas Ulkiges. Es sind Opfer von Chimären ihrerselbst. Der eine geifert mit den Zähnen, die er zur Einschüchterung seiner Gegner ausgebildet hat und die ihm dann selbst zum fatalen Verhängnis einer Maulsperre geworden sind. Der andere eifert in einem vollkommen plumpen Ganzkörper-Umhang, mit verräterisch hervorlukendem Bart, selbst befangen in seiner Tarnung. Die Absurdität wird zur Hybris. Der Säbelzahntiger reckt uns sein Maul auch noch mit doppeltem Kopf entgegen und kann uns gerade dadurch mit seinem irrenden Blick nicht fixieren. Und was sollen diese "mutmaßlichen Terroristen", die die Arme unbeweglich, rechtwinklig am Kölrper halten, denn wirklich in Schach halten? Wohin geht es, wenn sie die Wand empor krauchen wie Maden, oder in der kompakten Form von Quallen an ihr hochschweben, so gefährlich etwa wie aufsteigende Engelchen? Ironie ist zweifellos im Spiel, das beweisen nicht erst die Titel, wie beispielsweise "Drei Helden und ein Luschi".
Es ist gerade dieser spielerische Zug in der variationsreichen, drängenden Bildkraft von Thomas, der jede illustrative Lesart verhindert. In seiner Fortführung von Bildhauerei zwischen Skulptur und Installation wird mit den Mitteln von Dekonstruktion, Sampling und erneuter Permutation jedes Verlangen des Beobachters nach linearer Narration durchkreuzt. Eine vom Körper ausgehende, berstende Imaginationskraft unterläuft mit den absurden Verfremdungen der Gliedmaßen und Köpfe, mit den widernatürlichen Auswüchsen und widersinnigen Zusammenstellungen die Möglichkeit der Konsumation als eine bloß unterhaltsame Schilderung der Bedrohungen der Menschen vom Anfang ihrer Evolution bis zum heutigen Tag.
Ob es einem nun als Kulisse für einen Horrorfilm mit Tiermenschen und Menschtieren vorkommt wie die Stellprobe zu einer Parodie anmutet, in der die Komödianten als Wolperdinger verkleidet sind. Die Handlung einer möglichen Erzählung ist angehalten. Die räumliche Konstellation hält uns gefangen. Die Zeit bricht ab. Hier wird keine allegorische Fabel erzählt und kein vordergründiger Symbolismus hochgehalten. Es gibt einfach keine metaphorische Brücke, über die wir im Werk von Thomas in seine subjektive Kunstsprache wandeln könnten, mit der wir die Bedeutung einer Parabel auf die Menschheitsgeschichte entschlüsseln können und über die wir mit dem Wissen seiner Weltsicht zurückzukehren vermögen. Alles ist hier Konkretion. Dieser Wildpark ist bildhauerisches, nicht literarisches Substrat. Mit der stummen Magie von Totems überträgt sich die Kraft der Figuren auf unser Körpergefühl.
Zwar operiert Thomas mit postmoderner Geste: greift in das Bestiarium unserer Evolution ebenso wie in die mediale Nachrichtenflut unserer Tage. Doch die Wirkung der ineinander verschmolzenen Motive hat viel mehr mit Existentialismus zu tun und betrifft unsere persönliche Befindlichkeit im Zeichen von Angriff und Verteidigung. Es sind private Ängste und Nöte, die uns zwischen den Skulpturen beschleichen und es ist unsere eigene Unsicherheit, die sich in einem befreienden Lächeln gegenüber diesen geschichtslosen Raubtieren ausdrückt. Bei diesen Attentaten war das Opfer zunächst nicht offensichtlich.