Über die Arbeiten von Daniel Wagenblast
Daniel Wagenblast studiert erst Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bei Prof. Peter Grau und Prof. Rudolf Schoofs, bevor er Anfang der 90er Jahre zur Bildhauerei findet, aus Lust am Handwerk und am dreidimensionalen Denken – wie schon andere Malerkollegen vor ihm: in einer unakademischen Herangehensweise an Plastik und mit einer neuen Sicht auf die Dinge. Auslöser ist letztendlich der Mord an einem Taxifahrer in New York, von dem im Radio berichtet wird, als sich Daniel Wagenblast gerade in der Metropole aufhält. So entsteht eine ganze Serie von Taxifahrern, genannt „Yellow cab, N.Y.“. Oder besser: eine Serie von Männern – oft im Ringel-Shirt –, die ein Taxi in die Luft stemmen, in hilflosen Verrenkungen zu umklammern versuchen, auf oder unter dem Arm oder vor sich her tragen. Die Figuren: mit Säge und Beitel aus dem Holzblock geschnitten und mit grellem Gelb versehen. Damit war das Thema gefunden, das Daniel Wagenblast in den folgenden 15 Jahren beschäftigt: die Welt des „Taxidrivers“, das Verhältnis Mensch – Auto, oder das Missverhältnis zwischen beiden.
Die Bezeichnung „Universalkünstler“ trifft auf Daniel Wagenblast durchaus zu: erst Maler, dann Bildhauer, nebenher drei Jahre Studium der Germanistik, später Saxofonist bei der Rockband „Fiese Förtner – Rock für die Chefetage“. Er gründet 1994 zusammen mit anderen Künstlern die Gruppe „maximal“, gewinnt 1. Preise bei Wettbewerben, erhält Stipendien der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, des Landes Baden-Württemberg und der Kunststiftung Baden-Württemberg. Er realisiert zahlreiche Plastiken im öffentlichen Raum, dabei geht es immer um „Weltenfahrer“ oder „Fahrerwelten“.
Nicht zuletzt ist er selbst ein Reisekünstler: zu Studienzwecken unterwegs auf den Kanaren, in den USA oder mit dem Wohnmobil samt Familie von einer Ausstellungseröffnung zur nächsten: immer wieder Stuttgart, Mannheim, Frankfurt und Düsseldorf, dazu kommen zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen u.a. in der Städtischen Galerie Böblingen, im Kunstverein Mannheim, im Forum Kunst Rottweil, in der Kunsthalle Baden-Baden, in den Städtischen Museen Heilbronn oder im Badischen Landesmuseum Karlsruhe.
Besuche bei den Nachbarn. Das klingt nach Freizeit, nach Feierabend, nach Wochenende. Nach Geburtstagsständchen mit Blumenstrauß. Nach Neujahrsanstoß mit Sektflasche. Nach Grillabend und Kaffeeklatsch. Nach spielenden Kindern. Nach Aushilfe mit der Mehltüte. Manche kommen aus anderen Gründen. Das wissen wir aus der Zeitung: der Rasenmäher, das Radio, die lärmenden Kinder, das Unkraut, das durch den Zaun wächst (während die Kirschen gern genommen werden), der Grillgestank, die Wäsche falsch aufgehängt.
Angekündigte oder überraschende Besuche.
Wie auch immer – es geht um Kommunikation, egal welcher Art. Immer verbunden mit dem Betreten fremden Territoriums und fremder Welten.
Distanzen werden überwunden. Und die Entfernung ist relativ. Wer ist unser Nachbar?
Der Titel der Ausstellung irritiert zunächst, weil wir die Dinge, die wir mit Nachbarschaft assoziieren, in den Skulpturen von Daniel Wagenblast nicht vorfinden. Kaum ein Miteinander, auch kein Gegeneinander, sondern ein Nebeneinander von Figuren, die so gar nicht zusammengehörig scheinen.
Da reitet ein Mann – „cowman“ – auf einem undefinierbaren Wesen, ein anderer auf einem Löwen, ein Elefant wird besetzt, eine Qualle, eine Rakete, auch ein Kirchendach.
Die Sitzposition vollkommen unaufgeregt – trotz aller Gefahr, die durch die wilden Tiere, die rasante Geschwindigkeit einer Rakete oder die Schwindel erregende Höhe eines Kirchendaches droht.
Aber von Bedrohung keine Spur. Seltsam, diese Kombinationen, absurd und skurril. Nicht zuletzt, weil die Größenverhältnisse der Originale einfach außer Acht gelassen werden: die menschlichen Gestalten jeweils so groß, dass ihr Gegenüber zum Requisit mutiert. Löwe und Elefant werden zu Spielplatzfiguren, zu Kletter- und Streichelobjekten. Die Männer, die auf den Raketen sitzen oder sie wie Wurfgeschosse mit sich tragen, würden in ihren Flugobjekten niemals Platz finden. Ebenso wenig in der Kirche, deren Dach dem Gewicht eines anderen Riesen erstaunlicherweise standhält.
Dagegen hat die Qualle überdimensionale Ausmaße angenommen. Ihre ausgestreckten Tentakel suggerieren schnelle und zielgerichtete Bewegung, die Signalfarbe Rot unterstreicht die damit verbundene Gefahr für die waghalsig positionierte menschliche Gestalt.
Vielleicht kann man bei Daniel Wagenblast von einer Bedeutungsperspektive sprechen – ähnlich der Kunst des Mittelalters –, bei der die Gewichtung der Figuren und Gegenstände das Größenverhältnis bestimmt.
Und natürlich sind sie von Bedeutung.
Zunächst geht es um den Menschen. Wie eine Spielfigur nicht in Aktion, sondern in eher allgemeingültiger Körperposition festgehalten: stehend oder sitzend, ohne expressive Gestik. Dabei ist es immer wieder dieselbe Gestalt, die uns begegnet. Kein Individuum, aber vom Künstler mit individuellen Merkmalen ausgestattet: ein Mann mit übergroßen Füßen, kräftigen Gliedmaßen, mit flachem Gesicht, aus dem allein Augenbrauen und Nase wie ein Gebirge hervortreten. Mit einem Mund, wie ihn Kinder malen: mit leicht hochgezogenen Mundwinkeln, die, je nach Lichteinfall, den Ausdruck variieren. Ein Mensch mit äußerst reduziertem Erscheinungsbild.
Denn es geht um grundsätzliche Fragen.
Um das Verhältnis des Menschen zu seinem Gegenüber. Und um die Umkehrung von Verhältnissen.
Die Frage: wer bewegt wen? Bewegen und Bewegtwerden – nicht dasselbe.
Die Frage: wer ist Herr der Lage.
Die Frage nach Herrschen und Beherrschtwerden. Die Machtfrage.
Und dann die Frage nach dem Wohin.
Immer mobil sein, wird verlangt. Aber: die Immobilie als Wertanlage.
Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur.
Zwischen Mensch und Technik. Die Faszination der Technologie. Die Faszination des Unmöglichen.
Das Verhältnis zwischen Mensch und Religion.
Himmel und Hölle.
Das Verhältnis zwischen Mensch und Universum.
Die Frage nach Eroberung von Raum und Zeit. Die Sehnsüchte des Menschen.
Die Eroberung von fremdem Raum und fremder Zeit.
Nichts anderes sind die Besuche bei den Nachbarn …