LET’S MISBEHAVE
Gerhard van der Grinten über die Arbeit von Danielle Zimmermann
Das, was man sieht, ist nicht das, was man sieht. Respektive: das, was man da sieht, ist nicht das, was man da zu sehen meint. Man sieht: Bilder, virtuos in ihrem Zeichenstrich, delikat in der Coloristik, souverän in der Adaption von Vorgefundenem. Und völlig unvermutet ein jedes Mal im kombinatorischen Vermögen: im Witz, im Anspielungsreichtum, der wie selbstverständlich über die Ikonographie der Kunstgeschichte verfügt, sie in neue Zusammenhänge stellt, sie travestiert, Banales neben hohem Ton. Was außerordentlich erhellend ist in dem, was es einander assoziiert.
Und was es über unsere Sehgewohnheiten auszusagen imstande ist.? Was man zu sehen meint: den Glanz der Oberfläche, vertraute Piktogramme, Labels, Markennamen, die Insignien des fröhlichen Konsums, Mannequins, Pin Ups. All die wundervollen Verführungen der Werbewelt. Und zu nicht geringen Teilen auf dem Trägergrund der so benamsten Kunststofftüten aufgebracht. Nur ist das, was sich in dieser Glitzerwelt hier tummelt, wesentlich subtiler, als es den Anschein gibt. Wisch und Weg wischt nämlich, wen wohl, die Schöne. Nicht Weniges spielt nicht nur mit der Erotik, sondern ist dies explizit. Madame Butterfly offeriert eine prekäre Situation für Nase und Busen der holden Weiblichkeit. Der dunkle Ritter hält sich derweil mit Schatten bedeckt. Während Captain America einmal mehr in den Kampf mit den Roten verstrickt ist: Tomaten diesmal. Was man makellos vorgestellt zu bekommen gewohnt ist, zeigt hier Schärfen: die jugendliche süße Haut gibt sich pergamenten zerknittert, das blanke Antlitz eines Models lässt japanische Lettern durchschimmern, als wäre es überlackiert. Was es auch ist. Und den Fashion Victims scheint die eigene Hirnmasse in die Haare gekämmt. Das eine Form wie das andere. Überhaupt, die Haare, sie verselbstständigen sich als Wirbel, Turbulenz und malerisches Ereignis zunehmend und drängen auf manchen Bildern alles andere in den Hintergrund. Nichts auf der Fläche ist unwichtig, schon gar nicht eine opulente Lockenpracht. Sie erinnert daran, dass ein Bild, gleich, was es darstellt, zuerst einmal eine plane Fläche ist, nach bestimmten Gesetzen mit Farbe bedeckt.?Danielle bringt uns und unser Sehen einmal mehr gehörig durcheinander.
Das ist auch gut so.
11.VI.2012, Gerhard van der Grinten
CATCH ME IF YOU CAN
Gerhard van der Grinten über die Arbeit von Danielle Zimmermann
Danielle – der Name ist Programm. Süßeste Verheißung. Fleisch vom Fleische der Verführung: ranke Beauties, pralle Mangas, Must-Haves, and – Yes we can! – die Gesellschaft jener It-People, die die irdische Existenz dem frohen Konsumenten erst erträglich machen. Auf Hochglanzfolie. Doch ach! Auch dieses Paradies hat seine Frucht vom Baume der Erkenntnis. Und so wie man, der Künstlerin Danielle selber ansichtig, auf den ersten Blick dem Irrtum verfallen könnte, es handele sich bei ihr um eines ihrer Kunstprodukte, so lehrt der zweite, dass sie einen Schalk besitzt, der den Scherz ins Bodenlose führt. Ihr Talent ist virtuos, ihre Kenntnis der Kunst- und Kulturgeschichte stupend: das ermöglicht ihr, wie beiläufig, den Vorrat abendländischer Ikonographie heranzuziehen und in völlig neue Beziehungen zu setzen. Was äußerst erhellend ist: auch darin, unsere schöne neue Medienwelt auf ganz erschreckende Weise zu decouvrieren. Wie sollte man dieser Versuchung widerstehen. Wieso auch?
Gerhard van der Grinten; 12.I.2010
TOUT SWEETS
Gerhard van der Grinten über die Arbeiten von Danielle Zimmermann
Es gibt die wirkliche Welt und es gibt die wahre. Die wirkliche Welt besteht aus Importzöllen, Arbeitslosenstatistiken, Mortalität infolge Fettsucht und Mangel an Bewegung, Verkehrsinfarkt, Mehrwertsteuererhöhung, dem Gekeife der Opposition, Waldsterben oder dem fatalen Hang religiös überbelichteter Individuen zu Explosionsstoffen. Das, und dergleichen mehr, ist die wirkliche Welt. Das ist natürlich nicht das Wahre. Die wahre ist sie schon gar nicht. Die wahre Welt, die einzig erstrebenswerte ist selbstverständlich die - wer wollte es bestreiten- in Hochglanz: schöne, junge Menschen, qua Naturrecht fit und rank und sexy, in schönen Wagen, Häusern, Ambientes, mit Partnern, deren männliche Kaumuskel die selbstgewisse Breite ihrer Bizepse halten, einen Six-Pack anstelle des Bauches unter den weiten Schulter. Menschen, die zu schmeichelnder Musik schöne, bunte Dinge konsumieren. Ohne Schuldgefühl und Reue. Ohne die Last der Geschichte. Ohne die Belastung tiefgründelnder Philosophie. Es ist in der Tat die letzte und jüngste der Erlösungsreligionen, die nicht nur verheißt: alles wird gut!, sondern auch: alles wird chic! Zu jener, zu vor nicht allzulanger Zeit, als die Weltwirtschaft noch glaubte, mit Informationstechnologien und ohne reelle Arbeit ließe sich das Volksvermögen der ganzen Menschheit erwirtschaften. Als die Labels Sakramente waren und die Supermodells Hohepriesterinnen, deren abkonterfeite Ikone schon den Atem verschlagen konnte. Und wer, außer den Heuchlern, außer den Moralisten oder sonstigen gewerbsmäßigen Miesepetern, wollte nicht dazugehören, der Kommunion von Gucci, Prada, Chanel teilhaftig werden? Wer wollte häßlich sein unbegehrt und außen vor? Warten wir nicht insgeheim auf die Erlösung vom Übergewicht, der Riester-Rente, den Segnungen der Globalisierung, die diese schöne neue Welt beschatten?
Die Welt der Danielle. Die Welt der eleganten Werbeidole, des konsumfrohen Rausches: sie posiert, sie performt, nimmt Rollen ein: young, tough & sexy, sie zeigt ihre eigene Produktlinie: die geht vom Videoclip über das Modellkleid und das für die Frau for fun unverzichtbare Assessoire bis hin zu Tattoos und Buttons, Stickern, exklusiven Kappen, Shirts und Bildern. Werbejingels eingeschlossen. Das beherrscht den Style des Angesagten nicht weniger virtuos als die Mittel und Behufe der Realisation, ist mit großer Könnerschaft programmiert, gezeichnet, gedruckt, gemalt, montiert und läßt gewiß kein Material und keine Technik aus, die dem beabsichtigtem Ausdruck nutzbar scheint. Was adaptiert ist, was originäre Zutat, erschließt sich oft erst auf den zweiten Blick: die Puma-T-Shirts sind gemalte Fakes: gefälscht besser als echt, die Sneakers allesamt nur Turnschuhmanschetten, um dem abendlichen Auftritt in der Disco erweiterte modische Varianz zu bieten. Es sind allerdings nur rechte Füße ... Da sind die hippen Marken und die hippen Illustriertentitel, auch gemalt, mit Folienstiften. Und die hippen Mangas - jene japanischen Trendcomics, die zunehmend auch die alte Welt erobern mit ihrem schrägen Gemix aus Gewalttätigkeit, Tempo, Sex und Infantilismus. Da ist Barbie, das alterungslose Ideal der Kleinmädchen-Frau. Und all die feinen Labels, deren Nennung schon wollüstiges Begehren zu entfachen imstande ist. Und beinahe ist man eingewickelt von all dem prall Gebotenen. Bis man genauer hinsieht. Der zweite Blick verstört:
Denn da zeigt sich ganz unvermutet der Pferdefuß, werden die Bilder und Objekte doppelbödig hintergründig. Es scheint, es gibt kein Paradies auf Erden ohne Haken. Denn hier wächst zusammen, was nicht zusammengehört. Die Zusammenstellung ist absurd. Und sehr erhellend. Die Trimm-Dich-Barbies in der Menge erhalten durch ihr markiges Geschrei und die zackige Bewegung etwas erschreckend Faschistoides. Die Shirts mit Kunsthaar und augenzwinkerndem Fräulein, Lick me allover, Laß uns süße Sünde tun, verleihen der allgegenwärtig scheinbaren Verfügbarkeit des Weiblichen einen bösen Nachgeschmack. Die Bunny-Taschen, Suitcases für die Frau, frei nach dem Symbol eines Herrenmagazins, das sich des Entertainments for men rühmt. Taschen aus Bonbonpapier, Kleider aus Milchtüten. Nicht nur die Materialien spielen mit den Sehgewohnheiten und Konventionen, auch die Klaviatur der Medien, die Topoi, die sich der allgemeinen Bildvorstellungen ebensosehr bedienen, wie der Mode, wie der Inkunabeln und Kompositionsmodelle der Kunstgeschichte. Denn Danielle verfügt nicht nur souverän über die Mittel, sondern über ein enormes kunsthistorisches und ikonographisches Bildergedächtnis. Und mannipuliert den Betrachter in dem, was er zu sehen zu bekommen meint.
Modedesigns als Tafelbild etwa: die Entwürfe entlehnen sich den Gebrauchsanleitungen für Küchengeräte. Die Druckgraphik paraphrasiert Photostrecken - und kreuzt sie mit der Trophäe eines Impalas. Und die Einkaufstüte als Bildträger, die sie besessen allerorten gesammelt und teils noch im Laden bezeichnet hat, entlarven sich aus dem Abstand - und der Zutat: Idahos Royal Potatos - königliche Kartoffeln!, der Brawny-Man, pure white? Shower caps und Schwarzwaldmädel mit Girlies versehen, die asiatische Werbung, unlesbar, aber mit demselben Layout wie unsere, so daß man sie dennoch zu verstehen meint? Da, wo die Mittel und Inhalte der Werbung konterkarriert werden, schärft sich der Blick für ihre Fragwürdigkeiten, das Unbehagliche der Berieselung und Versuchung wird einem erschreckend bewußt: Lidl - heute gehört uns Deutschland und morgen die Dritte Welt ...?
Und dennoch bringt sie es ganz unangestrebt fertig, dass diese Arbeiten unerhört reizvolle und begehrliche bleiben, noch wenn einem als Betrachter ihre pointierten Sottisen allmählich bewußt werden - You can't blame a girl for trying -Wahrer als die Wirklichkeit.