Ein individueller Weg zu einer neuen Figuration
Jens Martin Neumann über die Arbeiten von Irene Fastner
Irene Fastner hat eine eigensinnige figürliche Malerei entwickelt, in deren Mittelpunkt buchstäblich die monumentale, urtümlich kraftvolle Figur steht. Im Verzicht auf jedes dynamische Bewegungsmotiv, alle gestischen oder mimischen Pathosformeln und vor allem in der Unbewegtheit der scheinbar ausdruckslosen Gesichter verfolgt sie eine stille Kunst des eingefrorenen Moments. Meist über die gesamte Bildhöhe aufgespannte, überwiegend en face dargestellte, schematisierte Frauen, Männer, Kinder und Tiere sind statuarisch ruhig - inmitten oder seitlich - einer kürzelhaft bezeichneten räumlichen Umgebung verankert, die sich als ornamentaler Teppich oder changierende Farbfolie über die Bildfläche entfaltet. Stark vereinfacht, plakativ überzeichnet und in gesucht auffälligem Missverhältnis tragen die schmächtigen Figurenleiber auf den dünnen Stielen ihres Halses großflächige kantige Kopfblöcke oder runde Gesichtsscheiben, lassen dürre Arme hängen, stecken kleine Hände in Kitteltaschen oder halten wie auf klassischen Portraits sonderbare Attribute, die sich auch zu bildbeherrschenden Hauptmotiven auswachsen können. Details wie Rock, Haare, Augen oder Nase stilisieren zu reinen Farbflächen oder grafischen Lineaturen, und auch die Frontalität der Figuren beweist sich als Mittel koloristischer Flächigkeit.
Irene Fastner trennt sich unbefangen von der menschlichen Gestalt. In der Art von Kinderzeichnungen ordnet sie die Bildelemente ganz nach ihrer differierenden Wertigkeit und verknüpfenden Beziehung an, also entsprechend den Erfordernissen von leichter Lesbarkeit und nicht etwa naturalistischer Proportion, räumlicher Verhältnisse oder malerischer Illusion. Die Komposition gründet ausschließlich im Interesse der Künstlerin an den Dingen. Die Folgen sind: rigoros vorherrschende Bedeutungsperspektive, inhaltlich angeregte, aber malerisch motivierte Farbanalogien und Formentsprechungen, sowie chiffrenhaft summarische Gestaltfindung. Dieser kunstimmanente Ansatz setzt inhaltlichen Deutungen enge Grenzen: Ein dunkles Gesicht ist primär eine bräunliche Farbfläche, nicht automatisch Signatur farbiger Menschen; die häufig auftretenden Frauenfiguren bieten Anlass für malerische Details in ihrer Kleidung, weit weniger für Definitionen weiblicher Rollenmuster.
Die bewusste Einfachheit der Darstellung, diese authentische Kindlichkeit in der stilistischen Haltung, der gewisse Primitivismus koloristischer Verflächigung und linearer Konturierung sowie die freie Strichsetzung führen zu knapp formulierten, höchst vitalen Figurenbildungen, die bei Irene Fastner immer Inhalt und freie Malerei in einem sind. Zwar bleibt eine abstrahierte Figürlichkeit erhalten, da Pinselstriche und Farbflecken noch dingliche Funktion besitzen, trotzdem verhilft die Künstlerin der Farbe mit heftig eingesetzten Bildmitteln - starkem Kolorit, handschriftlichem Duktus und groben Strukturen - zu eindrücklicher Wirkung. Der Malakt bleibt in sichtbaren Spuren anwesend, verleiht der Farbe eigenständige Qualität und substanzielle Stofflichkeit. Die Malerin trägt das Farbmaterial voller Klumpen, Verwerfungen und Grate auf, durchfurcht mit dem Pinsel die aufgeworfene Farbpaste, wechselt von spontaner schlanker Gebärde zu schwerer krustiger Farbgeste, schreibt graphische Kritzeleien in die Farbhaut hinein - kurz: Die malerische Erzählung entfaltet sich in kräftigen Farben und in ruppiger Handschrift über die Bildoberfläche, Malmotorik und Bildprozess bilden eine untrennbare Einheit.
Letztlich auch ein kluger zeitgenössischer Kommentar zu einer altehrwürdigen Gattung, erzählt jedes Bild Irene Fastners als eine Art "Portrait" eine einfache Geschichte, die von ganz normalen Menschen in alltäglichen Situationen handelt. Diese Geschichten beruhen zwar auf persönlichen Erlebnissen, Erfahrungen und Reiseeindrücken, aktualisieren sich aber spontan im Malprozess, finden erst dann eine offene Form des Berichtens. Irene Fastners Galerie trivialer, aber eben allgemeingültiger Durchschnittstypen bezeichnet die Suche nach malerischen Entsprechungen für unsere Vorstellungen von Person, Charakter, Tätigkeit und Lebensdesign. Die Künstlerin stellt sich naiv, nimmt solche populären Vorstellungen gleichsam wörtlich und setzt sie direkt ins Bild. Sie spürt in malerischen Andeutungen von geblümten Tapeten, kleinen runden Tischen, Blumensträußen, aber auch merkwürdigen Haustieren, Handtaschen oder Mobiltelefonen der sozialen Atmosphäre nach, deckt Klischees auf, um sich gleich wieder davon zu distanzieren. Ihre Malweise ist von Einfühlung in die dargestellten Protagonisten geprägt, wechselt je nach Motiv Stillage und Malmodus. Die Bilder sind dabei optimistisch und hoffnungsvoll, denn fest stehend und zu blockhafter Form verfestigt können sich die Figuren in ihrem Lebensraum - sei es auch im Wahn eines Traumes oder in der Fragwürdigkeit eines kleinbürgerlichen Ambientes - stoisch behaupten. Die Kunst ist hier allerdings kein abgeschlossenes Konzentrat, sondern bleibt offen. Die angefangenen Geschichten werden an uns Betrachter weitergegeben, und wir müssen sie uns selbst zu Ende erzählen.
Frei von falschem intellektuellem Kalkül und direkt wirksam im malerischen Ausdruck, schafft Irene Fastner Werke von lapidarer Kraft und elementarer Wucht. Sie vertritt eine individuelle "Rohe Kunst", geprägt von allgemein zugänglichen Bildformen, in denen traditionelle Gegenständlichkeit hinter rätselhaften Zeichen für Menschen versinkt. Die Malerin erneuert die figurative Kunst durch den Rückgang auf Ursprünglichkeit, Primitivismus und Authentizität.